Das schlimmste Schreckgespenst in der Pferdehaltung ist wohl die Lahmheit. Oft kommt es ganz plötzlich, dass dein geliebtes Pferd humpelnd von der Wiese kommt oder du beim Reiten eventuelle Taktfehler bemerkst. Dann fängt die lange Kette des Suchens an, die nicht selten mit der Angst vor enormen Kosten verbunden ist. In vielen Fällen hätten diese Probleme allerdings schon früh bemerkt werden können, eventuell sogar bevor ein Schaden entstanden wäre.
Wichtig dafür ist, dein Pferd regelmäßig und gut zu beobachten. Ausschlaggebend hierbei ist, dass du mögliche Probleme auch tatsächlich sehen willst!!! Das hört sich komisch an, ist aber genauso gemeint wie ich es hier schreibe. Viele Besitzer wollen nämlich gar nicht genau wissen, ob ihr Pferd tatsächlich eine Problematik in sich trägt oder nicht. Da hört man als Reitlehrer, Stallbetreiber oder Physiotherapeut auch mal den Satz: "Ja der tickt mal ab und zu vorne irgendwie, aber das geht dann meistens irgendwann wieder weg." Diese Pferdebesitzer blättern jetzt bitte einfach weiter zum nächsten Artikel oder Thema.
Nicht nur bei meinen Physio-Kunden oder während meinen Reitstunden, auch im täglichen Umgang mit den Pferden auf der Ranch fallen Bewegungsproblematiken, Muskelatrophie und sogar Schmerzäußerungen schon im täglichen Umgang auf. Dafür ist es nicht immer nötig, eine spezialisierte Ausbildung zu haben um seinen Blick zu schulen. Man muss jedoch die Geduld und den Willen haben, regelmäßig hinzuschauen und sich in sein Pferd hinein zu fühlen. Das richtige Hinschauen ist kein Zauberwerk. Häufig fühlen oder sehen wir beim Reiten, manchmal sogar beim führen oder beobachten des Pferdes auf der Weide schon die (natürliche) Schiefe oder sogar erste Probleme des Pferdes.
Kaum ein Pferd ist rechts und links gleich. Trotzdem ist es möglich jedes Pferd so gerade und gesund erhaltend wie möglich zu trainieren, damit die (natürliche) Schiefe kaum noch auffällt und mögliche Problematiken verbessert werden oder erst gar nicht entstehen.
Nachfolgend möchte ich allen Pferdemenschen ein paar Tipps mit auf ihren Pferde-Weg geben, wie sie frühzeitig Probleme ihrer Pferde erkennen können.
Hier ein kleiner Wegweiser wie ihr euer Pferd gezielter beobachtet:
Schaut eurem Pferd mal eine Weile auf der Wiese oder auf dem Paddock zu. Bewegt es sich regelmäßig und gleichmäßig? Stellt es sowohl die rechten als auch die linken Vorderfüße bzw. Hinterfüße gleich häufig nach vorne? Ein Pferd, das ein Bein regelmäßig entlastet, zeigt bei einer Vorderbein-Problematik ein zu weit vor den Körper gestelltes Vorderbein und bei einer Hinterbein-Problematik ein deutlich unter den Körper gestelltes Bein. Seht ihr, dass es seinen Schweif rechts und links gleich bewegt? Ist es ihm möglich die Fliegen mit der Nase rechts und links vom Bauch weg zu schnicken? Wenn ihr euch über all dies ein Bild gemacht habt, seid ihr schon auf einem guten Weg euer Pferd und dessen Körper genauer zu beobachten.
Schaut eurem Pferd einmal genau ins Gesicht. Hat es ein waches, großes, klares Auge oder sieht es eigentlich häuf müde mit halb geschlossenen Augen und hängender Unterlippe aus. Bewegt es sich gerne in der Gruppe oder steht es oft ruhend abseits am Rand und döst. Wirkt es seinem Alter entsprechend fit? Läuft es gerne und munter neben dir her oder musst du es häufiger hinter dir her ziehen? Hat es ein entspanntes Maul oder kräuselt es die Nüstern und Maulpartie? Wirkt es oft erschöpft, obwohl es mit der tägliche Arbeit eigentlich nicht überfordert sein sollte?
Natürlich ist kein Lebewesen kerzengerade. Jedoch ist es wichtig auf die Besonderheiten des Körpers deines eigenen Pferdes zu achten.
Diese lassen dein Pferd nämlich die Bewegung so ausführen, wie es sie ausführt. Beobachte dein Pferd im Stand einmal ganz genau.
Hat dein Pferd ein gerades Gesicht? Hat es optimal gewinkelte Füße oder eventuell Plattfüße oder Bockhufe? Sind die Hufe groß oder zu klein? Ist die innere und die äußere Wand des Hufes gleich gestellt oder siehst du eine steile und eine flach abfallende Seite? Sind seine Hufe im richtigen Winkel gestellt oder zeheneng oder zehenweit? Sind seine Beine & dessen Gelenke gerade oder hat es hier auch Anomalien in der Stellung? Sind Schulter und Hinterhand optimal gewinkelt? Wie ist der Halsansatz? Wie ist der Widerrist? Ist sein Brustbein abgesunken? Wie ist der Rücken? Wie ist die Bauchmuskulatur? Wie ist das Becken gewinkelt? Wie hält und bewegt es seinen Schweif? Und, und, und! Wie du schon siehst gibt's hier 100000 Dinge, die Beachtung finden sollten. Jedoch bedeutet das nicht zwingend, dass ein perfekt gebautes und kerzengerades Pferd niemals Probleme haben wird und dafür das weniger optimal gebaute Pferd nicht genauso gesund sein kann.
Schaut euch auch einmal die Box eures Pferdes genauer an. Besonders bei Pferden die auf Stroh gestellt sind fällt ein "faules" Hinterbein sofort durch häufig an die Ränder der Box gedrücktes und komprimiertes Stroh auf, wobei in der Mitte der Box manchmal der blanke Boden zum Vorschein kommt. Nun stellt sich die Frage warum hat euer Pferd ein "faules" Hinterbein? Entlastet es sehr häufig? Winkelt es seine Gelenke ungern? Oder schlurft es wohlmöglich? All dies sind mögliche Dinge, die ihr mit eurem Physiotherapeuten oder Tierarzt absprechen könnt.
Ein weiteres Indiz für eine mögliche Hinterbein Problematik ist die Schwierigkeit des
Pferdes auf der Stelle zu drehen. Dies zeigt sich nicht nur bei einer Wendung unter dem Sattel, auch beim Hineinführen in die Box und abrupten umdrehen lassen sich solche Schwierigkeiten schon bemerken. Ein gesundes Pferd lässt normalerweise ein Hinterbein stehen und dreht den Rest des Körpers um dieses am Boden stehende Bein. Bei Pferden mit Gelenkproblemen in der Hinterhand sieht man häufig, dass sie versuchen diese Drehbewegung zu vermeiden. Stattdessen weichen bzw. schwenken Sie mit dem „Heck“ nach außen aus und machen lieber mehrere kleine Tritte um die Wendung zu vervollständigen.
Ein für mich sehr wichtiger Aspekt in der Lahmheitsdiagnostik ist das genaue Hinhören das Auffußens. Die meisten Lahmheiten fallen mir als erstes gar nicht optisch auf, sondern ich höre sie zuerst! Auch das ist für jeden von euch nicht schwer. Führe dein Pferd aus der Box und konzentriere dich nur auf das Geräusch und den Takt der Hufe. Hörst du ein völlig regelmäßiges Auffußen? Oder ein lauteres Platschen des vielleicht immer gleichen Fußes? Häufig zeigt ein Platschen eine Entlastung des parallel oder kontralateral gelegenen Fußes. Hörst du ein Schlurfen der Hinterhand? Oder fusst dein Pferd mit beiden Hinterbeinen sanft und regelmäßig? Schule dein Ohr regelmäßig, dein Pferd wird es dir danken. Im Zweifelsfall weißt du nachher wenigstens, welches Eisen als nächstes locker wird. ;-)
Als nächstes widmen wir uns dem Sattel. Ich bin sicher, dass die meisten Sättel auf der Welt dem dazugehörigen Pferd nicht optimal passen. Sicherlich ist das auch nicht immer dramatisch. Die meisten Trainer und dazu zähle ich auch mich, haben für viele Pferde nur zwei oder drei Sättel zur Auswahl. Wenn ein Sattel jedoch so überhaupt nicht passt und zu groß oder zu eng ist kann man bei regelmäßigem Reiten doch einen riesigen Schaden verursachen. Ein zu enger Sattel zerdrückt regelrecht die darunter liegende Muskulatur. Ein zu weiter Sattel rutscht häufig beim Reiten zu weit hinter das Schulterblatt, wird dann dort beim Gurten auch noch fest gezerrt und verursacht nach einiger Zeit dadurch Atrophien und die typischen Kuhlen am Widerrist. Schau dir den Rücken deines Pferdes regelmäßig genau an. Wenn optisch schon eine Ungleichheit von rechts zu links zu sehen ist, sollte man sich über den (un)passenden Sattel eventuell doch Gedanken machen. Zeigt dein Pferd vielleicht sogar Muskelatrophien oder Myogelosen auf einer oder beiden Seiten dann seid ihr sogar auf dem Weg eines schlimmeren Schadens. Fühl die Muskulatur, die unter deinem Sattel liegt mit weichem und festem Druck deiner Finger von vorne nach hinten genau durch. Streiche dabei in Fellrichtung mit 2-3 Fingern von vorne nach hinten aber auch von oben nach unten. Denke auch an den Seitenvergleich. Fühlst du dabei Löcher, Dellen, Knubbel oder Wellen? Wenn ja es ist wohl Zeit den Sattler deines Vertrauens für eine Kontrolle kommen zu lassen.
Nicht vergessen dürfen wir auch unser Equipement. Wenn wir 100% Leistung von unserem Sportpartner verlangen, müssen wir auch 100% auf das korrekte Equipement achten! Wenn der Lammfellgurt aber so alt und kaputt ist, dass dein Pferd nur noch hartes kratziges Leder fühlt ist der Gurt vielleicht besser für die Tonne, als für die zarte Haut deines Pferdes. Oder vielleicht sind deine Sporen völlig ungleich an deinem Stiefel angebracht, dann musst du dich nicht wundern, warum dein Pferd eine unangenehme Schiefe beim Reiten zeigt und wahrscheinlich wie bei diesem Beispiel vermutlich von deinem linken Bein viel besser weicht, als von deinem rechten. Auch das Gebiss, dass du deinem Pferd ins Maul legst, ist ein ganz ganz wichtiger Punkt. Gute Qualität ist hier definitiv angesagt!!
Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich auf dieser Seite auch schon an anderer Stelle beschrieben habe, ist die Wichtigkeit, sein Pferd auf beiden Seiten gleichmäßig zu trainieren. Jeder Reiter kennt sie, die geliebte Schokoseite des Pferdes. Ich habe schon häufig Reiter in ihrem täglichen Training beobachtet und sehe bei vielen, dass sie sich immer wieder und leider auch häufiger auf der Schokoseite einfinden. Die schlechte Seite wird zwar auch regelmäßig trainiert, vergleicht man rechts und links aber mal genauer wird zu zwei Dritteln oder noch mehr Prozent die Schokoseite häufiger trainiert. So schafft man sich ein immer schieferes Pferd mit immer unterschiedlicherer Kraft und Muskulatur, dem es immer schwerer fällt seinen Bewegungsapparat gleichmäßig auszubilden. Achte beim nächsten Mal Reiten doch mal genau darauf und zähle mit. Du wirst überrascht sein.
Nicht zu verachten ist die natürliche Schiefe des Pferdes. Schon bei Fohlen kann man beobachten, dass es ihnen möglicherweise leichter fällt, an der Mutterstute von links an die Milchbar zu kommen oder beim Spiel auf der Koppel im Rechtsgalopp anzuspringen. Jeder von uns kennt das auch aus seinem Alltag: Man benutzt immer den gleichen Arm um schwere Sachen aus dem Auto zu heben, stellt häufiger mal den rechten Fuß nach vorne oder trägt den Scheitel in den Haaren lieber nach links als nach rechts. Genau das ist mit der natürlichen Schiefe des Körpers gemeint. An sich ist so eine Schiefe kein Problem, nur wenn besondere Bahnfiguren oder Manöver im Training gezeigt werden müssen, zeigt sich auch die dazugehörige Problematik stärker. Deshalb ist es an uns, dem Pferd im täglichen Training zu helfen, diese Schiefe zu verbessern oder sogar zu beseitigen.
Nun gehen wir weiter zur Beobachtung in der Bewegung. Auch hierbei achtet der Tierarzt oder
Physiotherapeut auf sehr viele Kleinigkeiten. Ich kann und möchte jetzt hier nicht alle zu beobachtenden Bewegungsmuster auflisten. Ob es das Einfußen des Hinterbeins in das Loch des Vorderbein ist, die Schaukelbewegung des Brustkorbs und Bauches im Seitenvergleich zu sehen, das aktive Vorderbein oder das aktive Untertreten des Hinterbeins, der gut durch gesprungene elastische Galoppwechsel auf beiden Seiten, die schnelle & gleichmäßige Beinaktion im rasanten Spin, das gerade Rutschen und Belasten der Hinterbeine im Sliding Stop, oder, oder, oder. Es kann jeder Laie beim Beobachten seines Freizeit- oder Sportpartner Pferd Anhaltspunkte für ein kommendes Problem finden. Diese können bei einem anstehenden Tierarzt- oder Physiotherapeuten-Termin explizit an- und besprochen.
Natürlich gibt es noch viel mehr Gedanken, die man sich über sein Pferd machen kann. Die Haltung und Fütterung wurden hier nicht explizit angesprochen.
Auch nicht, der regelmäßige Zahnarztbesuch oder die Kontrolle des Blutbilds. Die Unter- oder Überforderung beim täglichen Training können eine riesige Rolle spielen. Auch psychische Probleme der Pferde werfen oft Schatten auf das Gangbild und die inneren Organe. Dies alles jetzt noch ausführlich anzusprechen würde den Rahmen sprengen. Jeder ist seines Glückes Schmied und auch des Glückes seines Pferdes.
Ich rate jedem Pferdemensch dazu, sein Pferd regelmäßig einem Physiotherapeuten vorzustellen und bei tatsächlichen Problemen als erstes einen kompetenten Tierarzt um Rat zu fragen. Im Durchschnitt kostet ein Röntgenbild um die 45€, der Sattler kontrolliert den Sattel vielleicht sogar für weniger Geld und der Physiotherapeut ist meist auch 2 Mal im Jahr erschwinglich. Dieses Geld muss es einem als Pferdeliebhaber einfach Wert sein, da meist danach direkt Klarheit herrscht, was hinter der Problematik steckt. Da geht man lieber ein paar Mal weniger in die Pizzeria und kann sich dafür am nächsten Tag mit gutem Gewissen in den Sattel schwingen.
Ich hoffe ich konnte euch ein paar Einsichten in meine Arbeit als Physiotherapeut, Reitlehrer und Stallbetreiber zeigen und euch dabei helfen euren Blick ein wenig zu schulen.
Und nun viel Spaß bei Beobachten, Fühlen und Hören eurer Pferde.
Viele Grüße,
Bianca